Eigentlich wollte ich darüber schreiben, in welchen Situationen meine Haare solche Probleme machen, dass ich sie signifikant kürzen muss. Seit ein paar Wochen habe ich krassen Haarausfall. Dabei ging bisher mehr als ein ganzer Zentimeter Haarumfang verloren. Von ca. 7,5 cm Zopfumfang in „guten Zeiten“ bin ich von mitteleuropäischem Durchschnitt (medium) damit ins Feld der Feenhaare (dünnes Haar) gewechselt. Und hatte wirklich Angst, mir das Elend anzusehen.
Haarausfall – Was ist passiert?
Zuerst merk ichs beim Kämmen. Ich verliere sehr viel mehr Haare als sonst. Auslöser war diesmal ein Stressschub vor ein paar Wochen. Und mittlerweile wirkt es sich auch auf meine Haarlängen aus. Sie sehen unten deutlich dünner aus.
Menschen mit dickem Haar lächeln vielleicht darüber, was ich Kante nenne. Aber ich war so froh, dass meine glatten feinen Haare unten endlich mal wieder dichter waren. Und dann ein gefühlsmäßig heftigeres Ereignis, ein paar Tage innere Notgefühle und Aufregung, und ich erlebe deutlichen Haarverlust über Wochen...
Auslöser – Nervensystem & Körper
Stress ist mein Haarkiller Nr. 1. Genauer gesagt ist meine chronische posttraumatische Belastungsstörung mein heftigster Haarkiller… „Normaler Stress“ , wie z.B. Prüfungsstress kann zwar auch kurzfristig Haarausfall verursachen. Laut dieser Studie klick ist er jedoch innerhalb der normalen Range (mal fällt mehr, mal weniger) & nicht signifikant. Entwarnung für alle, die hin und wieder stress-peaks haben. 🙂
Disclaimer: Eine Studie zu Re- Traumatisierungs- Stress speziell habe ich nicht gefunden & natürlich sind meine Erklärungen daher nicht wissenschaftlich basiert, sondern beruhen nur auf meiner persönlichen Erfahrung. Ich kenne beide Stressarten, und meine, dass es einen Unterschied gibt.
Diesmal habe ich meinen traumabedingten Haarausfall ganz bewusst miterlebt. Im Vergleich zu heute war ich früher viel häufiger derart gestresst. Gedankenkreisel über nichtendende To- Do- Listen und DruckDruckDruck. Das war seit meiner Kindheit mein Normalzustand. Ich habe zwar darunter gelitten, aber nie geglaubt, dass ich ihn je ändern könnte. Wenn ich mir zB diesen Post aus 2017 – klick ansehe, erkenne ich meinen damaligen Dauerzustand wieder. Auch interessant, wie ich das in der Tiefe gar nicht hinterfragt habe & wie harmlos- witzig ich es darstelle. Kein Wunder, dass ich (nur) Meditation als Lösung gesehen – aber gleichzeitig nicht geschafft habe, regelmäßig zu meditieren…
Dann bin ich nach Jahrzehnte langer Depressions-, Therapie- und Psychoedukations- Odyssee endlich am Thema Entwicklungstrauma vorbei gekommen. Habe viele neue Skills gelernt. Meinen Körper endlich in meinen Heilungsweg mit einbezogen. Und kann mich nun viel besser selbst regulieren und entspannen.
Die Abwärtsspirale – The biggest loser
Dadurch war ich in der Lage, diesmal bewusst zu beobachten, wie mein Körper durch einen Trigger in seinen original Verspannungszustand zurück switchte. Sofort tauchten wieder die alten Depressionsgedanken auf. Der Druck, der Stress, die Überforderung. Und sie drohten, mich zu überschwemmen. Da ist dann eine Schwere im Körper, die ich kaum tragen kann. Ich habe unfassbare Schmerzen im Nacken und unteren Rücken.
In diesem Zustand kann ich nicht arbeiten, nichtmal abwaschen. Stattdessen esse ich kaum, trinke umso mehr Kaffee und rauche wie verrückt. Prokrastiniere nur noch & sitze erstarrt rum… Und kann überhaupt nicht gut für meinen Körper sorgen… Fast eine Woche habe ich damit verbracht.
Veränderung – Der Weg zum langen Haar
Aber: Im Gegensatz zu früher habe ich sofort mitbekommen, dass ich es mit einer Retraumatisierung zu tun habe. Ich weiß dann: „Okay, alles was du jetzt denkst, diese Verzweiflung, das sind Zustände aus deiner Kindheit. Es ist kein Wunder, dass du gerade nix anderes hinbekommst. Dein Körper arbeitet im Moment mit aller Kraft daran, diesen heftigen emotionalen Aufruhr zu verarbeiten und zu regulieren. „
Trauma- bedingter Haarausfall – Die Ursachen
Ein früh traumatisiertes Nervensystem wie meins hat nicht – wie von der Natur vorgesehen – in der Kindheit gelernt, starke Schmerzen oder Gefühle wie Angst oder Wut angemessen zu verarbeiten. Es kennt nur seine alten Strategien wie z.B. Rückzug und Erstarrung und Einkapselung des Aufruhrs. Der Körper arbeitet auf Hochtouren. Er wird hart und spannt bestimmte Muskelgruppen extrem an, um diese Gefühle zu halten. Alle Kraft geht dorthin.
Diese Ressourcen zieht er auch aus den Haaren ab. Zudem spielen die Hormone verrückt. Und die Muskelverspannungen in der Kopfgegend schnüren dem Haar quasi die Luft ab. Viel mehr Haare als sonst wechseln dann von der Wachstums- zur Ausfallphase (Wachstumsphasen – klick)
Bei sehr heftigen Triggern, die abgespaltene „Traumaanteile“ (quasi eigenständige Teile deines neuronalen Netzwerks) aktivieren, ist es mit einer einzigen Intervention oder Regulationsübung nicht getan. Mehrere Tage pendelte ich zwischen bewusster Regulation und automatisiertem Erstarrungszustand hin und her. Während mein Körper kämpfte. Es erfordert ständiges Bewusstsein und ist wirklich harte Arbeit, dran zu bleiben, während alles in mir nur sterben will…
Traumaintegration – Heilung ist Vorsorge
Zum Glück habe ich gelernt und viel geübt, mich zu regulieren. In einer guten Phase habe ich einen Notfallplan erstellt. Das ist wichtige Selbstfürsorge, weil im getriggerten Zustand nur noch mein „Reptiliengehirn“ gut arbeitet. Und das kennt nur Kampf, Flucht oder Erstarrung. Ich kann dann nicht richtig denken. Ich habe vergessen, DASS und was ich mir Gutes tun kann.
Aber in mir drin hält eine weise Wölfin die Stellung. Die habe ich in guten Zeiten „installiert“ und mit dem Trigger verbunden. Und sie hält ein Schild hoch. Darauf steht „Du bist gerade in den ÜBERLEBENSMODUS gewechselt. Ich HELFE dir! Hier geht es entlang in SICHERes Gebiet. Unter den wild wachsenden, üppigen und IM BODEN FEST VERANKERTen Bäumen liegt ein Brief für dich. SETZ DICH einen Moment ins Moos und lies!“
Notfallplan – Schneller zurück ins Wohlbefinden
Und in diesem Brief an mich finden sich liebevolle Vorschläge wie „Kannst du deine Finger sanft bewegen?“ oder „Dreh dich mit dem ganzen Körper mal nach deinem Zimmerdschungel um & guck, ob er dir vielleicht gerade ein neues Blatt schenkt“ oder „Hast du in der letzten Stunde Wasser getrunken?“ oder „Ist dir kalt? Wie wäre eine Tasse Kakao & ein Wärmkissen?“ oder „Klopf ganz zart deinen Körper ab“
Durch die sanfte Orientierung auf meine Umgebung werden meine neueren Gehirnregionen wieder aktiviert & mein Körper angesprochen. Beide brauche ich zur Selbstregulation. Und v.a. dafür, die im Trauma gebauten neuronalen Pfade zu verlassen…
Nachsorge nach dem Auslöser
Während ich wieder bei mir und meinem Körper ankam, habe ich schon gemerkt, wie viele Haare ausfallen. Und sie fielen und fielen und fallen immer noch. (Ich habe über einige Wochen an diesem Post geschrieben – heute, ca. 6 Wochen nach dem Trigger scheint es eeeetwas weniger zu werden)
Wenn die Einzelhaare in die Telogenphase gewechselt sind, kann ich für diese nichts mehr machen. Der Prozess ist unumkehrbar. Diese Haare werden alle noch ausfallen. Aber ich kann andere ruhende Follikel motivieren, neue Haare zu produzieren. Das stelle ich mir wie in der Natur vor: Alles gedeiht, wenn beste Umweltbedingungen herrschen. Dazu gehören Nahrung, Wärme, gute Durchblutung und ein ausgeglichener Körper.
- Essen: Ich esse wieder sehr bewusst naturbelassene Nahrungsmittel, die mich mit Vitaminen und Spurenelementen versorgen. Dann hat mein Körper auch wieder Kapazitäten für sowas vergleichsweise Unwichtiges wie Haarwachstum.
- Vorbeugung: Pausen kommen wieder mehr in meinem Alltag vor, genauso wie sanfte Bewegung an der frischen Luft.
- Durchblutung: Kopfhautmassagen und gelegentlich die inversion method gehören wieder zu meiner täglichen Routine. Gute Durchblutung is key, sonst kommen die ganzen schönen Wachstumsstoffe nicht im Follikel an
- Pflege: Kopfhautseren mit Rosmarin & co sollen zumindest ein bisschen Hilfestellung leisten.
- Verwöhnen: Ich möchte für meinen Körper einen Zustand des Überflusses schaffen
Die Schere – Folgen des Haarausfalls
Der „Stress“ hat seine Spuren hinterlassen. Meine ohnehin nicht üppigen Längen sind unten noch mehr ausgedünnt. Es wird einige Jahre dauern, bis dort der Nachwuchs ankommt. Jedesmal, wenn ich mir ins Haar fassen, ziehe ich weitere lockere Haare mit raus. Es ist noch nicht überstanden.
Die Umfangsmessung hat mir den Rest gegeben. (Ein zunächst unbemerkter Trigger, dieses „deine Haare sind eh dünn und hässlich“, der heimlich, still und leise schon wieder ein neuronales Netzwerk aktiviert hat, in dem alles katastrophal und sinnlos ist…) Ich war sicher, dass ich mindestens 10 cm Länge opfern müsse.
Doch dann habe ich Aufnahmen für diesen Post gemacht, auf denen ich dir die schreckliche Wahrheit schonungslos zeigen wollte. Und siehe: auf den Fotos sah es gar nicht sooo dramatisch aus!
Realitätscheck – Es ist niemals so schlimm wie wir (im getriggerten Zustand) denken
Und ich spreche zu mir selbst : „Mach mal wieder Haarselfies. Sei dabei lieb zu dir und wähle Kleidung in dunklen Farben. Dann sieht man eventuelle Lücken im Haar nicht zu sehr. Bedenke, dass gut ausgeleuchtete Fotos eh schon gnadenloser sind als die Augen deiner Betrachter in der Realität. Wähle schmeichelhafte Beleuchtung. Frontal angestrahlt, sieht jede Mähne kaputt aus!„
„Und ehe du dir die Fotos ansiehst, mach ´nen Bodycheck: Fühlst du dich gerade ausgeglichen und entspannt?“ Wir sind nachweislich kritischer und ängstlicher, wenn unser Nervensystem dysreguliert ist. Dann sehen wir nur noch Mängel! Isso!
Der Weg zum langen Haar bedeutet auch dran lassen!
Wenn ich dann jedesmal abschneiden würde, hätt ich die langen Haare nicht. Woher weiß ich das? Früher bin ich diesen Impulsen aus dem überkritischen Anteil in mir immer gefolgt. Wie gesagt, ich kannte es nicht anders und es kam mir wie die Wahrheit vor, dass so dünne Haare wie meine eigentlich nicht so lang sein sollten…
Jedes Langhaar kennt solche fiesen Stimmen auch von außen „Die sind kaputt und dünn, da musst du unten mal ordentlich abschneiden“ (klick – mein alter Post übers Abschneiden und meine Haargeschichte) Sowas kriegen selbst die prächtigsten Mähnen ungefragt zu hören… Und früher hab ich das dann geglaubt. Diese Geschichte wurde mir nämlich von Kindesbeinen an erzählt… Damals war mein Rapunzeltraum unerfüllbar.
Not today, Satan!
Die Haare bleiben dran! Ich konzentriere mich vielmehr auf mein Wohlbefinden. Und an schlechten Tagen hilft Wegdutten & vergessen! ( Mein Alltagsdutt – klick) Merke: Triff niemals unumkehrbare Entscheidungen, wenn du dich gerade nicht völlig ausgeglichen fühlst.
„Haarprobleme“ ist das Thema bei der Haarbande im September 2024. Und alle Posts der anderen siehst du hier klick.
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